HiN XXII, 42 (2021): Themenheft und Katalog zur Ausstellung „Christian Gottfried Ehrenberg: Lebensbilder eines Naturforschers“
Anlässlich der Ausstellung „Lebensbilder: Christian Gottfried Ehrenberg. Zeichnungen“ widmet HiN – Alexander von Humboldt im Netz dem Berliner Mediziner, Zoologen, Botaniker und Forschungsreisenden ein Katalog- und Themenheft. Dies hat gute Gründe: Über vier Jahrzehnte standen Humboldt und Ehrenberg (1795–1876), der zu den zentralen Figuren der preußischen und globalen Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts gehört, in einem engen wissenschaftlichen und freundschaftlichen Austausch, der in einer mehr als 320 Briefe umfassenden Korrespondenz dokumentiert ist. Als Humboldt 1829 auf Einladung des russischen Kaisers eine Reise zu den Hüttenwerken sowie Gold- und Platinlagern des Urals und Westsibiriens unternahm, erwirkte Humboldt, dass Ehrenberg, den er als erfahrenen Forschungsreisenden und Expeditionsarzt schätzte, ihn begleiten durfte.
Das mit zahlreichen Abbildungen versehene Themenheft stellt die vielfältigen Forschungen sowie das zeichnerische Werk von Humboldts „sibirischem Reisecumpan“ vor, der ihm auch in seinen letzten Lebensjahrzehnten ein wichtiger Ansprechpartner blieb.
HiN XXII, 42: : Themenheft und Katalog zur Ausstellung „Christian Gottfried Ehrenberg: Lebensbilder eines Naturforschers“ enthält ein Geleitwort von Christoph Markschies und Artikel folgender Autorinnen und Autoren:
- Ulrich Päßler (deutsch)
- Mathias Grote (deutsch)
- Anne Greenwood MacKinney (deutsch)
- Wolf-Henning Kusber und Regine Jahn (deutsch)
- Ferdinand Damaschun (deutsch)
- Katrin Böhme (deutsch)
INHALTSVERZEICHNIS HiN XXII, 42 (2021)
DOI: 10.18443/hinvol22iss422021 URL: https://doi.org/10.18443/hinvol22iss422021
Christoph Markschies: Geleitwort
>> zum Geleitwort
Ulrich Päßler: Einleitung. Christian Gottfried Ehrenberg – Lebensbilder eines Naturforschers
In der Einleitung zum Themenheft skizziert der Herausgeber und Kurator Ulrich Päßler Forschungsfelder, Werdegang und wissenschaftliche Expeditionen des Berliner Mediziners, Zoologen, Botanikers und Forschungsreisenden Christian Gottfried Ehrenberg (1795–1876) und bietet eine Übersicht über die im Themenheft versammelten Beiträge. >> zum Beitrag
Mathias Grote: „Aus dem Kleinen bauen sich die Welten“ – Christian Gottfried Ehrenbergs ökologische Mikrobiologie avant la lettre
Die Geschichte der Mikrobiologie als Laborwissenschaft des späten 19. Jahrhunderts hat für Ehrenberg keinen Platz. Unmodern, ja fehlerhaft scheinen die Befunde dieses „Humboldt en miniature“, der die Belebtheit von Wasser oder Luft mikroskopisch untersuchte, der Proben aus aller Welt sammelte und so zahlreiche „Infusorien“ genannte Mikroben sowie deren Effekte etwa bei Blutwundern beschrieb, deren Beteiligung an Infektionskrankheiten aber verneinte. Zugleich scheint sein ökologischer Blick auf den Mikrokosmos die Gegenwart auf überraschende Weise anzusprechen – einerseits weil Mikroben omnipräsentes Faszinosum wie Bedrohung bleiben, andererseits weil viele der Prämissen von Pasteur und Koch im Zeitalter der Genomik überholt erscheinen. Ausgehend von der zwiespältigen Position Ehrenbergs fragt der Artikel von Mathias Grote, warum er möglicherweise gerade deswegen spannender ist, als ihn die Historiographie bislang hat erscheinen lassen. >> zum Beitrag
Anne Greenwood MacKinney: Die Inszenierung naturforschender Gelehrsamkeit beim Sammeln. Christian Gottfried Ehrenbergs und Wilhelm Hemprichs nordafrikanische Forschungsreise (1820–1825)
Im Jahr 1820 traten zwei Universitätsabsolventen, Christian Gottfried Ehrenberg und Wilhelm Hemprich, eine Forschungsreise nach Nordafrika an, die eine der ersten vom preußischen Staat maßgeblich getragenen Reiseunternehmungen darstellt. Wesentliches Ziel der Reise war das Sammeln von naturkundlichen Exemplaren für die junge Berliner Museumslandschaft. Der Beitrag von Anne Greenwood MacKinney ordnet die afrikanische Forschungsreise in die wissenschaftliche Laufbahn Ehrenbergs ein, der als einziger Reisender überlebte, sowie in die Geschichte der Berliner Wissenschaftslandschaft im frühen 19. Jahrhundert. Dabei konzentriert sich der Beitrag auf die Medien – insbesondere Sammlungsverzeichnisse und Sammlungsobjekte – die die Reisenden im Feld einsetzen mussten, um ihre Identität als gelehrte Naturforscher gegenüber ihren Förderern zu inszenieren und damit ihre Position in der preußischen Wissenschaft strategisch zu sichern. >> zum Beitrag
Ulrich Päßler: Reisen im Nahen Osten. Zeichnungen
Ulrich Päßler stellt ausgewählte Zeichnungen vor, die im Zusammenhang mit Ehrenbergs gemeinsam mit Heinrich Menu von Minutoli und Wilhelm Hemprich unternommener Expedition nach Nordafrika und in den Nahen Osten – von Alexandria in die libysche Wüste, auf die Sinaihalbinsel, zum Roten Meer, in das Libanongebirge sowie bis in den Sudan und nach Eritrea (1820-1825) – entstanden sind, und erläutert entstehungsgeschichtliche, wissenschaftliche und biographische Kontexte. >> zum Beitrag
Ulrich Päßler: Christian Gottfried Ehrenberg und die Biogeographie. Die russisch-sibirische Reise mit Alexander von Humboldt (1829)
Die russisch-sibirische Reise, die Christian Gottfried Ehrenberg 1829 mit Alexander von Humboldt und Gustav Rose unternahm, fiel in eine entscheidende Phase seiner wissenschaftlichen Laufbahn. Sein Feldtagebuch und die Zeichnungen, die er auf der Reise anfertigte, dokumentieren seine verstärkte Beschäftigung mit der Erforschung von Mikroorganismen. Die zahlreichen pflanzen- und tiergeographischen Beobachtungen zeigen, wie Ehrenberg eine Kombination von Mikro- und Makroperspektive erprobte, die seine Forschung an Infusorien in den folgenden Jahrzehnten prägen sollte: Neben der Aufgabe der Klassifizierung am Mikroskop führte Ehrenberg weltweit vergleichende Untersuchungen zur Verbreitung von Mikroorganismen durch. >> zum Beitrag
Ulrich Päßler: Russisch-sibirische Reise. Zeichnungen
Drei Jahre nach seiner Rückkehr von der arabisch-afrikanischen Forschungsreise, begab Ehrenberg sich erneut auf eine große Expedition: Auf Einladung des Kaisers Nikolaj I. brach er am 12. April 1829 mit Alexander von Humboldt und dem Mineralogen Gustav Rose zu einer Reise auf, die sie in knapp neun Monaten und über 19.000 Kilometer in den Ural und durch Westsibirien bis zur russisch-chinesischen Grenzstation Baty führte. Während Humboldt und Rose die Hüttenbezirke im Ural und Altai inspizierten, legte Ehrenberg botanische und zoologische Sammlungen an. Ulrich Päßler stellt ausgewählte Zeichnungen vor, die im Zusammenhang mit der russisch-sibirischen Reise 1829 entstanden sind, und erläutert entstehungsgeschichtliche, wissenschaftliche und biographische Kontexte. >> zum Beitrag
Wolf-Henning Kusber, Regine Jahn: Christian Gottfried Ehrenbergs Zeichnungen. Eine frühe wissenschaftliche Dokumentation mikroskopischer Organismen
Die Erforschung und Beschreibung mikroskopischer Organismen durch Christian Gottfried Ehrenberg ist durch seine publizierten Texte und Kupfertafeln in den „Infusionsthierchen“, der „Mikrogeologie“ sowie aus Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften überliefert. Zentrale Bedeutung haben seine Zeichenblätter, anfangs alleinige Dokumentation, später komplementiert durch tausende mikroskopischer Dauerpräparate rezenter und fossiler Kieselschalen sowie getrockneter Einzeller. Alle Originalmaterialien Ehrenbergs stehen für die aktuelle Forschung in der Ehrenbergsammlung zur Verfügung. Seine detailgenauen Zeichnungen dienten der Erstbeschreibung einer Vielzahl neuer Arten aus allen Weltteilen. Biogeografische und ökologische Fragestellungen, Beschreibungen von Lebenszyklen sowie außerordentliche Phänomene wie die Färbung von Gewässern und Erden wurden mithilfe zeichnerischer Analysen bearbeitet. >> zum Beitrag
Ferdinand Damaschun: Christian Gottfried Ehrenberg und die Entwicklung der Mikroskop-Technik im 19. Jahrhundert
Ab Mitte der 1820er Jahre erfuhr die Mikroskop-Technik eine stürmische Entwicklung. Dadurch, dass es gelang, nach und nach die optischen Fehler zu korrigieren, verbesserte sich die Auflösung bis zum Ende des Jahrhunderts um den Faktor 10 von 3 µm auf 0,3 µm. Um 1820 begann Christian Gottfried Ehrenberg mit mikroskopischen Untersuchungen. Er nutzte zunächst ein einfaches Nürnberger Mikroskop. 1832 erwarb er ein Mikroskop aus der Berliner Werkstatt von Pistor & Schiek, das er dann zeitlebens nutzte. Ein Vergleich der Leistungsfähigkeit seines Instruments mit der für seine Untersuchungen notwendigen Auflösung zeigt, dass es für seine Untersuchungen vollkommen genügte. Für seine Untersuchungsobjekte entwickelte er Präparationstechniken und Aufbewahrungsmethoden für die Dauerpräparate. Da er auch die mikroskopischen Abbildungen bis hin zu den Vorlagen für die Kupfertafeln selbst anfertigte, behielt er den gesamten Prozess von der Präparation bis zum Druck der Ergebnisse stets in der Hand. >> zum Beitrag
Ulrich Päßler: Die Reise ins Kleinste der Natur. Zeichnungen
Nach den beiden großen Forschungsreisen in den Nahen Osten (1820-1825) sowie nach Russland und Zentralasien 1829 konzentrierte Ehrenberg seine Arbeit in Berlin auf die systematische Beschreibung von Kleinstlebewesen, die sogenannten Infusorien. 1838 erschien sein Werk „Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen. Ein Blick in das tiefere organische Leben der Natur“. Ehrenberg untersuchte tausende Proben aus aller Welt und wies Infusorien auf dem Grund der Meere, in atmosphärischem Staub und in Hochgebirgen nach. Ausgehend von diesen Befunden beschäftigte er sich mit dem Anteil von Mikroorganismen an der Bildung von Erden und geologischen Formationen. 1854 legte er in 41 Bildtafeln weltweite „geographische Uebersichten über das kleine jetzige erdbildende Leben“ vor. Ulrich Päßler stellt ausgewählte Zeichnungen vor, die im Zusammenhang mit Ehrenbergs Infusorienforschung entstanden sind, und erläutert entstehungsgeschichtliche, wissenschaftliche und biographische Kontexte. >> zum Beitrag
Katrin Böhme: Das große Ganze. Christian Gottfried Ehrenberg und die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin
Als langjähriges und aktives Mitglied der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin bestimmte Ehrenberg ihre Aktivitäten und ihr Ansehen maßgeblich mit. Seine Beiträge zu den Sitzungen und Schriften und seine Rolle als Bewohner des gesellschaftseigenen Hauses förderten in der GNF sowohl Fortschritt als auch Beständigkeit. Das Ziel der Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts, also die Entdeckung, Beschreibung und Bewahrung möglichst aller Organismen- und Gesteinsarten, wurde in der GNF bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts tradiert. Ehrenbergs wissenschaftliche Leistungen, insbesondere seine zahlreichen Entdeckungen mit Hilfe des Mikroskops, stehen ganz in dieser Tradition. >> zum Beitrag