Biermann/Schwarz: Humboldts indianische Begleiter
Kurt-R. Biermann und Ingo Schwarz
Indianische Begleiter Alexander von Humboldts auf seiner amerikanischen Forschungsreise 1799 bis 1804
(Gekürzte Fassung eines Beitrages, der 2000 in den Abhandlungen der Humboldt-Gesellschaft erschien. Der Beitrag wurde außerdem in HiN 14 auf Deutsch und auf Spanisch veröffentlicht.)
Denn die einen sind im Dunkeln
und die andern sind im Licht,
und man siehet die im Lichte,
die im Dunkeln sieht man nicht.Bertolt Brecht
Alexander von Humboldt hatte während seiner Expedition in Süd- und Mittelamerika eine Reihe indianischer Bediensteter, die ihm und seinen Begleitern als Träger und Tiertreiber, als Lotsen und Ruderer, als Bergführer, Dolmetscher und in anderen Funktionen wertvolle Dienste leisteten. Die meisten seiner indianischen Reisebegleiter kennen wir nicht namentlich; nur einigen wenigen hat er in seinem Reisejournal und in seinem gedruckten Reisebericht ein Denkmal gesetzt.
Wir beginnen die Erinnerung an Humboldts Begleiter mit dem ersten Indio, der den Forschern in Cumaná begegnete und dessen Bekanntschaft ihren „Reisezwecken äußerst förderlich wurde.“ Humboldt erwähnt ihn ausdrücklich in seinem Reisewerk: „Mit Vergnügen schreibe ich in dieser Erzählung den Namen Carlos del Pino nieder: so hieß der Mann, der uns sechzehn Monate lang auf unseren Wegen längs der Küsten und im Binnenlande begleitet hat.“ (1, Bd. 1, S. 215; 2, Teilbd. 1, S. 167) Carlos del Pino gehörte der Reisegesellschaft also von Juli 1799 bis zur ersten Abreise nach Kuba im November 1800 an.
Als Humboldt Cumaná am 18. November 1799 verließ, um von Caracas aus am 7. Februar 1800 die Reise über die Llanos nach San Fernando am Apure anzutreten und dort am 30. März die Orinocoreise zu beginnen, gehörte ein Zambo (ein Elternteil afroamerikanischer Herkunft, ein Elternteil indianischer Abstammung) zu seinen Gefährten. Er ist in Humboldts Umgebung belegt bei dem „Beinaheschiffbruch“ auf dem Orinoco am 6. April 1800 sowie in der gleichen Gefahr am 29. März 1801 auf der Fahrt nach Cartagena. Seine Erwähnung begleitet Humboldt mit der Bemerkung, der Zambo habe ihn „erst bei seiner Rückkehr nach Frankreich“ verlassen. Diese Lokalisierung ihrer Trennung ist nicht eindeutig. Sie kann bedeuten, daß sie während des zweiten Aufenthalts auf Cuba, spätestens am 29. April 1804, erfolgte. Sie könnte besagen, daß die Trennung in den USA im Juni 1804 stattfand. Sie schließt jedoch auch die Möglichkeit nicht völlig aus, daß der Zambo noch mit nach Frankreich gereist ist. (2, Teilbd. 3, S. 337)
Auf jeden Fall wissen wir, daß Humboldt einen indianischen Diener nach Frankreich mitnahm. Dazu liefert die folgende Passage aus dem Reisebericht Hinweise: „Ein [eingeborener] Diener, der uns auf der Reise nach Caripe und an den Orinoco begleitet und den ich mit nach Frankreich gebracht, konnte sich, nachdem wir an Land gegangen, nicht genug verwundern, als er einen Bauern mit dem Hut auf dem Kopf ackern sah, und er glaubte, ‘in einem armseligen Lande zu sein, wo sogar die Edelleute (los mismos caballeros) hinter dem Pfluge gehen’.“ (1, Bd. 1, S. 408f; 2, Teilbd. 1, S. 312) Am 14. Oktober 1804 zitierte Humboldt in einem Schreiben aus Paris an den Bruder Wilhelm die Kritik seines „indianischen Bedienten“ an der Gräfin Caroline von Schlabrendorff wegen deren Vorliebe für Männerkleidung: „Esta no es mujer, hace de hombre, tiene calzones.“ Erwähnt wird schließlich ein mit nach Europa gereister „domestique mulâtre“ von Humboldt in einem Brief an John Vaughan, den Schatzmeister der American Philosophical Society in Philadelphia, aus Rom am 10. Juni 1805 mit der Nachricht, der Mulatte befände sich auf der Heimreise nach Cumaná. Am Rande sei erwähnt, daß in Humboldts Zollerklärung vom 24. Mai 1804 nach Ankunft in Philadelphia kein mitreisender Diener genannt wird. Ein Bediensteter war wohl eine solche Selbstverständlichkeit, daß seine ausdrückliche Erwähnung für unnötig gehalten wurde. Immerhin muß er auf Vaughan einen gewissen Eindruck gemacht haben; wie sonst kann man sich Humboldts Annahme erklären, sein Korrespondent würde sich des „Mulatten“ entsinnen. Verwunderlich ist in diesem Zusammenhang die Nennung des in den Reisetagebüchern wiederholt erwähnten Hundes Cachy bzw. Cachi, der den Domestiken nach Cumaná begleitete. (4, S. 152, 306; 5, S. 200)
Wir können annehmen, daß Humboldt nur einen einzigen Diener aus Lateinamerika mit nach Frankreich brachte. Verwunderlich ist, daß er zwei einander ausschließende Kennzeichnungen seines Bedienten, nämlich Mulatte und Indianer, benutzte. Warum er das tat, bleibt sein Geheimnis. Es ist daran zu denken, daß Konsequenz bei Namen, Titeln und vielleicht auch der ethnischen Bezeichnung seiner Diener nicht unbedingt zu seinen Stärken gehört hat. Humboldt nennt diesen Mann im Reisewerk nicht mit seinem Namen. Es könnte sich um den im Tagebuch und in Briefen mehrfach erwähnten José oder Josef de la Cruz handeln (dankenswerter Hinweis von Frau Dr. M. Faak). Über ihn wissen wir, daß er die Reisenden seit ihrem Aufenthalt in Cumaná im August 1799 begleitete. (3, S. 85) Humboldt erwähnt ihn in seinem Reisetagebuch auch im Zusammenhang der Besteigung des Cotopaxi am 28. April 1802: „Le pauvre Joseph, qui porta le baromètre, souffra immensément.“ (3, S. 199; 4, S. 83) Der Relativsatz ist insofern beachtenswert, als Humboldt in eben diesem Reisejournal notiert, er habe bei sämtlichen Ortsveränderungen für den Transport des unersetzlichen Barometers einen „eigenen Fußboten jahraus, jahrein bezahlen“ müssen, so daß „der Barometer, welcher nicht 12 Reichstaler wert ist, am Ende der fünfjährigen Reise über 800 Reichstaler kostet.“ (3, S. 152) Man kann vermuten, daß die Barometerträger wechselten; José de la Cruz war in jedem Fall unter ihnen. Wie man einem Brief an Humboldt aus Cumaná vom August 1803 entnehmen kann, befand er sich auch in Mexiko noch bei der Reisegesellschaft. (5, S. 249) Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen wurde das Instrument übrigens hier durch die Schuld eines Weißen zerstört.
Während der Orinocoreise traf Humboldt Zerepe, einen Indio, der dem Missionar Bernardo Zea als Dolmetscher diente. Fast zwei Monate teilten der Geistliche und Zerepe, dessen Sprachkenntnisse den Reisenden äußerst nützlich waren, die Beschwernisse der Flußfahrt, obwohl die Unternehmung für den Indio eine deprimierende Folge hatte: seine Verlobte floh während seiner Abwesenheit in die Wälder zu den Ihrigen, weil man ihr weisgemacht hatte, Humboldt werde sich nach Brasilien begeben und Zerepe mitnehmen. (1, Bd. 2, S. 859 u. S. 1247; 2, Teilbd. 2, S. 223f u. Teilbd. 3, S. 128f)
Welche Strapazen die indianischen Begleiter auf den Flußfahrten zu ertragen hatten – die Orinocoreise dauerte 75 Tage, die auf dem Río Magdalena 55 Tage – ist aus Humboldts Bericht zu ersehen: „Unsere Navigation auf dem Magdalenenstrome war in der Tat eine schreckliche Tragödie. Von 20 Bogas, Ruderknechten, ließen wir 7 – 8 krankheitshalber auf dem Wege zurück. Fast eben so viel gelangten mit schändlich stinkenden Fußgeschwüren und bleich in Honda an.“ (3, S. 85) Nur vier Ruderer erreichten gesund das Ziel.
Auch die zahlreichen Vulkanbesteigungen in den Anden brachten kaum weniger Strapazen und Gefahren mit sich. Deshalb schätzte Humboldt den Anteil indianischer Begleiter bei diesen Unternehmungen ebenfalls hoch ein. Stellvertretend für andere sei hier der Indio Philippe Aldas genannt, der Humboldt am 26. Mai 1802 zum Krater des Rucupichincha begleitete und in höchst kritischer Situation allein bei ihm ausharrte, obwohl er fest davon überzeugt war, es sei verboten, der Gottheit des Vulkans zu nahe zu kommen. Im Gegensatz zu vielen Namen, die Humboldt in seinem Tagebuch nicht festhielt, hat er den „armen Aldas“ in seinem Reisejournal verewigt und hinzugefügt, er und der Indio hätten sich gegenseitig Mut zugesprochen! Er war für Humboldt zu einem gleichberechtigten Partner geworden, mit dem er seine Sorgen teilte und bezwang. (3, S. 201f; 4, S. 86f)
Humboldt realisierte in den Jahren 1799 bis 1804 eine der bedeutendsten Expeditionen in der Entdeckungsgeschichte unseres Planeten. Wenn er während seiner Reisen ungezählte persönliche Bekanntschaften machen und sich der tätigen Hilfe von Amerikanern versichern konnte, so ist dies in erster Linie seinem Kenntnisreichtum und dem ehrlichen wissenschaftlichen Interesse an den bereisten Regionen, aber auch seinem Geschick im Umgang mit Menschen geschuldet. Die wenigen angeführten Beispiele lassen erkennen, welchen Grad die Annäherung Humboldts an seine zum Teil im Dunkeln gebliebenen indianischen Reisegefährten erreicht hat und daß er ihnen seine Erfolge mitzuverdanken hatte.
Tips zum Weiterlesen:
Die Zitate aus Humboldts Reisebeschreibung entstammen (1); die Hinweise auf (2) sollen das Auffinden der entsprechenden Stellen in dieser Ausgabe erleichtern.
(1) Alexander von Humboldt. Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents. Hrsg. v. Ottmar Ette. 2 Bde. Frankfurt am Main und Leipzig 1991.
(2) Alexander von Humboldt. Die Forschungsreise in den Tropen Amerikas. Hrsg. u. kommentiert von Hanno Beck. 3 Teilbände. Darmstadt 1997 (Alexander von Humboldt. Studienausgabe, Bd. II.)
(3) Alexander von Humboldt. Reise auf dem Río Magdalena, durch die Anden und Mexico. Teil I: Texte. Aus seinen Reisetagebüchern zusammengest. u. erläutert durch Margot Faak. Mit einer einleitenden Studie v. Kurt-R. Biermann. Berlin 1986 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 8.)
(4) Alexander von Humboldt. Reise auf dem Río Magdalena, durch die Anden und Mexico. Teil II: Übersetzung, Anmerkungen, Register. Übersetzt u. bearb. v. Margot Faak. Berlin 1990 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 9.)
(5) Alexander von Humboldt. Briefe aus Amerika 1799 – 1804. Hrsg. v. Ulrike Moheit. Berlin 1993 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 16.)